Medieninformation 27.03.23: „Wissenschaft schafft Vertrauen vor allem durch die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis“ – Vier zentrale Forderungen

INNSBRUCK/SALZBURG. – In den vergangenen Tagen äußerte sich die Universitätenkonferenz „uniko“, der Zusammenschluss der 22 staatlichen Universitäten in Österreich, zum Thema Vertrauen in die Wissenschaft. Die offenbar zunehmende Wissenschaftsskepsis in Teilen der Bevölkerung zeigt sich bekanntlich in Debatten über den Klimawandel und über die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie.

Dabei erhob die Wissenschaft Forderungen an die Politik, wie etwa mehr finanzielle Mittel und die Gründung einer neuen Institution namens „Science Media Center“, aber auch Forderungen an die Medien wie qualitativ hochwertigere Wissenschaftskommunikation und schließlich Forderungen an die mündigen Bürgerinnen und Bürger. Das Netzwerk „Gute wissenschaftliche Praxis für Österreich“ unterstützt diese Forderungen.

Weitgehend vergessen wurde in den bisherigen Statements jedoch die Perspektive, was das österreichische Wissenschaftssystem selbst tun kann und muss, um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken: Wissenschaft ist aus sich selbst heraus zur Selbstkontrolle und Qualitätssicherung verpflichtet. Es geht nicht nur um die sekundäre Darstellung der Wissenschaft in anderen sozialen Systemen, es geht nicht um PR und Message Control, es geht zuallererst um die gute wissenschaftliche Praxis (GWP) selbst.

Anlassbezogen möchten wir deshalb – als unmittelbare Reaktion auf die Forderungen der „uniko“ – die folgenden Anliegen zur Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft vorbringen:

1. Klarere Ausbuchstabierung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis

Alle befassten Institutionen sind in der Abwehr von Ideenspionage und unzulässigen Beeinflussungen von Forschungsprozessen zu stärken. Auch Plagiate hemmen den Wissensfortschritt, führen zu falschen Zuschreibungen und senken das Vertrauen in die Wissenschaft. Österreichische staatliche Universitäten müssen endlich, wie in anderen Ländern längst üblich, flächendeckend mit Plagiatssoftware prüfen können. Die Rektorate haben für die Auswahl der richtigen Software und entsprechende technische Anbindungen (APIs) zu sorgen. Aufgedeckte Verstöße gegen die GWP müssen – ernsthafte – Konsequenzen haben. Dazu muss auch das Universitätsgesetz (UG) entsprechend abgeändert werden, das gegenwärtig mit den einschlägigen – unzureichenden und widersprüchlichen – Bestimmungen allzu wohlfeile Schlupflöcher bietet. Die Schaffung der Position von „Academic Integrity Officers“ (AIOs) wird, wie ebenfalls international üblich, empfohlen.

2. Echte Bestenauslese insbesondere bei Professorenbestellungen samt EU-konformem Rechtsschutz bei Bewerbungsverfahren

Das internationale Ansehen des Wissenschaftsstandorts Österreich steht und fällt mit der Seriosität der universitären Auswahlverfahren, die internationalen Kriterien genügen müssen und zumindest für den Fall schwerwiegenden Missbrauchs und der in Österreich leider weit verbreiteten „Postenschacherei“ gerichtlichen Rechtsschutz gewähren müssen (dies gebietet allein schon Art. 47 der Grundrechte-Charta).

Schiebungen in Berufungsverfahren, „ad-personam-Berufungen“ von politisch gut Vernetzten, Verhinderungen von Bestqualifizierten zur Vermeidung von Konkurrenz an den Universitäten und Missbräuche von § 99 Abs. 1 UG mit illegalen Verlängerungen ohne effektiven Wettbewerb schädigen nachhaltig das Vertrauen in die Wissenschaft. Die Einräumung einer Parteistellung in Aufsichtsbeschwerdeverfahren gemäß § 45 UG – die nach 20 Jahren endlich die Aufsichtsbeschwerde zu „lebendigem Recht“ machen würde – sowie die Einführung einer schon EU-rechtlich gebotenen „Konkurrentenklage“ bei Berufungsverfahren wären erste, unabdingbare Schritte zur Behebung dieser Probleme.

3. Open Data als Basis für qualitativ hochwertige Forschung

Forschungsrohdaten müssen für weitere Berechnungen zur Verfügung stehen. Eine „Geheimniskrämerei“ mit Rohdaten, wie dies zuletzt wieder bei der IHS-Plagiatsstudie der Fall war, ist schlichtweg nicht mehr zeitgemäß.

4. Transparenz im Gutachterwesen und bei Peer Reviews

Wir fordern die Abschaffung der Anonymität von Gutachtern und Gutachten sowie die volle Informationsfreiheit bei Verfahren in Verdachtsfällen von Verstößen gegen die gute wissenschaftliche Praxis. Diese Forderung geht mit der Abschaffung des Amtsgeheimnisses einher, das derzeit immer noch im Universitätsgesetz angeführt wird (§ 48 UG).

Zusätzlich fordern wir für die österreichischen Universitäten:

Eine offenere Fehlerkultur in der Wissenschaft, insbesondere im Fall von „Retractions“

Eine offene Diskussion des zunehmenden Problems der Studierunfähigkeit der Maturantinnen und Maturanten

Eine Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie durch onlinebasierte Meldesysteme mit Fokus auf Verdachtsfällen von Missbrauch des Hochschulsystems bzw. Hochschulkorruption

Nur wenn Österreich die „gute wissenschaftliche Praxis“ so ernst nimmt wie verwandte Qualitätsstandards wie etwa die „gute Laborpraxis“, kann das Vertrauen in die Wissenschaft nachhaltig zurückgewonnen werden.

Wer wir sind

Das Netzwerk „Gute wissenschaftliche Praxis für Österreich“ wurde 2023 mit dem Ziel gegründet, Grundlagenarbeit für wissenschaftliche Qualitätssicherung in Österreich zu leisten. Das Netzwerk ist aus einer erfolgreich gestarteten Initiative innerhalb einer „offiziellen“ universitätspolitischen Institution in Österreich (der Österreichischen Forschungsgemeinschaft – ÖFG) hervorgegangen, die durch eine Intervention von „höchster politischer Ebene“ Ende 2022 „gecancelt“ worden ist. Die Arbeitsgemeinschaft „Gute wissenschaftliche Praxis im Wandel“ der Österreichischen Forschungsgemeinschaft wurde 2021, nach dem Fall Aschbacher, gegründet, um die GWP-Themenstellung umfassend anzugehen und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Zahlreiche Projekte waren bereits in Planung bzw. in Arbeit und sollen nun im neuen Netzwerk „Gute wissenschaftliche Praxis für Österreich“ umgesetzt werden. Der vehemente politische Widerstand gegen Grundlagenarbeit im Bereich der guten wissenschaftlichen Praxis (GWP) hat für uns die Notwendigkeit verdeutlicht, einen fundamentalen Sinneswandel in der Haltung der Politik zu Frage der GWP herbeizuführen, damit dieses wichtige Thema auch in Österreich sachlich angegangen werden kann.

Die gegenwärtige Mitgliederliste des Netzwerks finden Sie hier: https://gwp.or.at/mitglieder

Für diese Medieninformation verantwortlich: Peter Hilpold und Stefan Weber

27.03.23

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