Für wen und ab wann gilt die gute wissenschaftliche Praxis?

Stefan Weber, 29. April 2022

Eine interessante Frage ist, ob das Begriffspaar „gute wissenschaftliche Praxis“ und „wissenschaftliches Fehlverhalten“ erst für Wissenschaftler*innen gelten sollte oder aber schon für Studierende, und wenn auch für diese: ab welcher Ausbildungsstufe.

Wortwolke zum Thema wissenschaftliches Fehlverhalten
Wortwolke Hannes Fuß/Stefan Weber, 2021, bislang unpubliziert

Die ersten GWP-Regeln waren für Wissenschaftler*innen gedacht

Zur Annäherung an eine Beantwortung dieser Frage muss man sich zunächst vor Augen führen, dass die Terminologie und die ersten Nomenklaturen zu „guter wissenschaftlicher Praxis“ und „wissenschaftlichem Fehlverhalten“ 1997 vom Strafrechtswissenschaftler Albin Eser ganz unter dem Eindruck des großen medizinischen Fälschungsskandals Herrmann/Brach in Deutschland eingeführt wurden. Das erste Dokument zur „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ war dezidiert an „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ (S. 145 f.) adressiert. In der ersten Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis aus dem Jahr 1998 ist indes auf S. 6 bereits zu lesen: „Die Empfehlungen richten sich vornehmlich an die verfaßten Institutionen der Wissenschaft, über sie aber auch an alle ihre Mitglieder.“ (In der bundesdeutschen Rechtsterminologie sind auch eingeschriebene Studierende „Mitglieder“ einer Universität.)

Unklarheit in den GWP-Richtlinien der ÖAWI

In den Richtlinien für „Gute Wissenschaftliche Praxis“ der ÖAWI aus dem Jahr 2015 finden sich unklare Formulierungen: In der Präambel werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwähnt, in § 1, Abs 1 und 2 ist zweimal von „alle[n] in der Forschung tätigen Personen“ die Rede. In § 1 Abs 4 werden auch Diplomanden und Masterstudierende als „Forschende“ bezeichnet, dann ist zweimal von „Forscherinnen und Forscher[n]“ die Rede (Abs 4 und 5). Es stellt sich hier unter anderem terminologisch die Frage, ob jeder Masterstudierende schon als Forscher*in zu bezeichnen ist, was man durchaus auch verneinen kann.

Derzeit Richtlinien nur für Wissenschaftler*innen oder auch für Studierende

So gibt es in Österreich Richtlinien für gute wissenschaftliche Praxis, die entweder nur für Wissenschaftler*innen und Forscher*innen gelten oder explizit auch für Studierende. Zwei Beispiele: Der „Code of Conduct – Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der TU Wien richtet sich an „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an der Technischen Universität Wien tätig sind“ (§ 1). Es darf zwar durchaus interpretiert werden, dass auch Studierende adressiert sind, was aber nicht explizit erwähnt wird. In der „Richtlinie der FH JOANNEUM zur Sicherung Guter Wissenschaftlicher Praxis und zur Vermeidung von Fehlverhalten in der Wissenschaft“ ist hingegen auf S. 2 zu lesen: „Der FH JOANNEUM ist die Sicherung Guter Wissenschaftlicher Praxis ein wichtiges Anliegen und sie bekennt sich im Wissen darum dazu, dass […] alle Mitarbeiter_innen, Lehrauftragsnehmer_innen, sonstige Auftragnehmer_innen und Studierenden der FH JOANNEUM im Sinne Guter Wissenschaftlicher Praxis angehalten sind, wissenschaftliches Fehlverhalten zu vermeiden […]“. (Hervorhebung in fett durch S.W.) Ganz ähnlich der entsprechende Satzungsteil der FH Salzburg, in dem klargemacht wird, dass auch Studierende „wissenschaftliches Fehlverhalten“ begehen können (§ 29-§ 31).

Auch studentisches „wissenschaftliches Fehlverhalten“ oder nur „Vortäuschen“?

Für wen und ab wann gilt also die „gute wissenschaftliche Praxis“, und ab wann soll man von „wissenschaftlichem Fehlverhalten“ sprechen? Können Studierende wissenschaftliches Fehlverhalten begehen oder sollte man diesen Begriff nur für Forscher*innen verwenden, während man bei Studierenden besser von „akademischen Täuschungshandlungen“ oder Ähnlichem sprechen sollte? Sollte man somit dem Vorschlag des Projekts „Akademische Integrität“ der Universität Mainz folgen? Dort heißt es: „Wird bei professionell tätigen Forscherinnen und Forscher [sic] hier von wissenschaftlichem Fehlverhalten gesprochen, fallen Verstöße im Rahmen des Studiums unter den prüfungsrechtlichen Begriff ‚Täuschung‘.“ Einen ähnlichen Weg ging auch der österreichische Gesetzgeber: Er verwendet den Begriff „wissenschaftliches Fehlverhalten“ (bislang) im Universitätsgesetz nicht, in den studienrechtlichen Ausführungen ist immer nur vom „Vortäuschen“ die Rede, allerdings mit einigen Problemen. Auch im Englischen wird oft die Unterscheidung zwischen „research misconduct“ und „academic dishonesty“ oder „cheating“ verwendet.

Ich denke, die Stimmigkeit des begrifflichen Unterbaus ist die Voraussetzung dafür, dass wir in der Sache selbst weiterkommen.

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